Deutsche Hütehunde

 

Leseproben

1. Vorwort

Ute Rott liefert mit Ihrem Buch ein Werk ab, welches sich sehr umfassend mit den Hütehunden beschäftigt. Anders als andere Bücher zu dem Thema, die sich meist als Rassenlexika für einen bestimmten Kreis von Hunderassen darstellen, geht Ute Rott wesentlich tiefer. Sie erläutert sehr schön und verständlich, was ein Hütehund überhaupt ist und zeigt deutlich, was Hütehunde von anderen Hirtenhunden unterscheidet. Ein besonderes Augenmerk legt sie dabei auf die Unterscheidung der deutschen Hütehunde und der Collies, welche für unterschiedliche Aufgaben gezüchtet wurden. Diese unterschiedlichen Aufgaben führten letztlich dazu, dass man diese beiden Arten der Hirtenhunde nicht miteinander vergleichen kann. Sei es von der Wahrnehmung der Aufgaben, bis hin zu den spezifischen Charakteren.

Weiter wird im Buch ausführlich auf die Geschichte der Schäfer, deren Aufgaben und eben auch der Entwicklung der Hunde an der Seite der Schäfer eingegangen. Man erfährt also nicht nur etwas über Hunde, sondern wird auch unterhaltsam mit einem Teil der eigenen Geschichte, speziell der ländlichen Geschichte, vertraut gemacht. In diesem geschichtlichen Abriss geht Ute Rott darauf ein, wie Schafe gehalten wurden und zeigt dabei deutlich auf, wie wichtig Hunde für den Schäfer wurden, um überhaupt mit den Schafen durch die Lande zu ziehen. Auf der Suche nach Futter und Weideland.

Und, wie es bei Menschen so ist, wurden mit der Zeit auch Hütewettbewerbe erfunden, auf die Ute Rott natürlich auch eingeht. Sie erläutert schön und anschaulich diese Wettbewerbe, allerdings nicht ohne klare Worte, die auf Missstände hinweisen. Missstände, die es leider immer und überall gibt, wenn Menschen und Tiere „zusammenarbeiten“ – oder zusammen Wettbewerbe austragen.

Neben der geschichtlichen Aufklärung, der Erläuterung der ernsthaften Arbeit und der Wettkampfaspekte, wird im Buch auch auf die Charaktere einzelner Hunde eingegangen und anhand schöner Beispiele das Wesen der Hütehunde erläutert, und auch der Unterschied zur Arbeitsweise von Treibhunden wie den Border Collies verständlich aufgezeigt.

Rassenerläuterungen fehlen in diesem, ich würde fast schon sagen „Standardwerk“ zu diesem Thema, natürlich auch nicht. Wertvolle Erläuterungen für den Umgang mit Hütehunden werden im Allgemeinen geliefert, aber auch detailliert erklärt. Im Kapitel zu Grundgehorsam, Beschäftigung und Ausbildung erhält der Halter eines Hütehundes wertvolle Informationen, die den Umgang mit seinem Vierbeiner deutlich erleichtern können. Und, was für mich noch wesentlich wichtiger ist: Wer das Buch von Ute Rott liest, wird das Wesen eines Hütehundes besser verstehen können. Und wenn man versteht, ist der Grundstein für ein harmonisches Miteinander schon gelegt.

Im Sinne des gegenseitigen Verstehens wünsche ich dem Buch, dass es viele Leser erreicht.

Thomas Riepe,

im September 2019

aus „Was ist hüten?“

Wenn wir unseren Welpen „hüten, wie unseren Augapfel“, dann wollen wir damit sagen, daß wir ihn besonders lieben und schätzen und nicht wollen, daß ihm etwas zustößt. Wir haben ihn in unsere „Obhut“ genommen und fühlen uns für ihn verantwortlich. Aber wenn wir uns „vor jemandem hüten“, dann trauen wir diesem Menschen alle möglichen Schlechtigkeiten zu und wollen lieber nichts mit ihm zu tun haben. Kinder, die „überbehütet“ aufwachsen, werden leicht unselbständig, weil ihre Eltern ihnen alles abnehmen und immer und überall für sie da sind.

„Hüten“ ist ein Wort, das wir in unserem täglichen Sprachgebrauch häufig verwenden und das in vielen Kombinationen vorkommt. „Die Hut“ ist demnach keine Kopfbedeckung, sondern das aktive Bewachen und Beschützen von anderen. In unserem Wortschatz ist die bewußte Anwendung des Wortes „die Hut“ abhanden gekommen, nur in Redewendungen kommt es noch vor. Im großen Brockhaus von 1989 gibt es nur noch eine Erklärung für „den“ Hut, der große Herder von 1955 und Meyers großes Konversationslexikon von 1905 erwähnen auch noch eine weitere Bedeutung für „die Hut“: „verwitterte Erze nahe der Tagesoberfläche, die unter der Einwirkung von Wasser, Sauerstoff und Kohlensäure oft in Sauerstoffverbindungen umgewandelt werden….“ (Meyer). Allerdings wird auch hier schon das Bewachen nicht mehr erwähnt. In Schmellers Bayerischem Wörterbuch (Sonderausgabe von 1872-1877, G. Karl Fromm) wird noch sehr detailliert darauf eingegangen: der, bzw. die Huet haben demnach die gleiche Herkunft, aber unterschiedliche Bedeutungen: Kopfbedeckung, bzw. Schutz. Der Ausdruck „auf der Hut“ hat sich so eingebürgert, daß es im Alltagsgebrauch bedeutet, daß man besonders vorsichtig ist, während die ursprüngliche Bedeutung war: Tiere auf die Weide zu führen und sie dort zu bewachen und zu beschützen.

„Hüten“ heißt also: aufpassen, bewachen, beschützen, sich verantwortlich fühlen für jemand anders. Eltern behüten ihre Kinder, Hundemenschen ihre Hunde und Hütehunde die Herde. Um Hütehunde verstehen zu können, muß man sich mit ihrer Arbeit, den Hirten und dem Weidevieh, das sie hüten, beschäftigen. Allein die Kenntnis, an welchem Vieh ein bestimmter Schlag oder eine Rasse vorzugsweise zur Arbeit eingesetzt wird, erleichtert das Verständnis sehr. Auch die Rolle des Hirten sollte man kennen und verstehen. Wir haben es hier mit einer sehr innigen Mensch-Hund-Beziehung zu tun. Und ohne Hüter gäbe es keine Hütehunde. Vermutlich gäbe es auch keine moderne Viehwirtschaft ohne die Hunde, denn heute geht man davon aus, daß der Einsatz von Hütehunden die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung von Hirten- und Bauernvölkern möglich machte.

Zunächst verbinden wir heute mit „Vieh hüten“ die Vorstellung von Schafherden, die von Hunden und einem Schäfer begleitet und bewacht werden. Die oberste Aufgabe des Hütehundes ist es, die Herde auf ihrem Weg zu bewachen und heil und sicher wieder nach Hause zu bringen, egal wie lange der Weidegang dauert, ein paar Stunden oder auch ein paar Monate. Das allein genügt aber nicht. Die Herde überquert Straßen und Bahnlinien, passiert bebaute Ackerflächen, nicht eingezäunte Gärten, Weideflächen, Obstwiesen, Wald, allerhand Gelände also, auf dem Schafe sehr gerne halt machen und fressen würden. Der Schäfer hat aber vertraglich mit einigen Bauern, Gemeinden oder anderen Landeigentümern oder Pächtern wie Naturschutzbehörden die Flächen festgelegt, auf die er seine Schafe führen darf. Der Rübenacker gleich daneben gehört nicht dazu. Das betrifft auch das Getreidefeld auf der anderen Seite des Weges. Die Schafe sollen ausschließlich dort grasen, wo es vereinbart ist: auf dem Stoppelfeld, der Streuobstwiese, im Landschaftsschutzgebiet. Und das finden Schafe nicht unbedingt gut, denn die frischen Sprossen im Acker daneben schmecken eben besser als die alten Stoppeln und die Kräuter dazwischen.

 

 

aus: Grundgehorsam – Beschäftigung – Ausbildung

Die Jagdsequenz als Grundlage guter Hüteeigenschaften

Die Arbeit der Hütehunde läßt sich aus der Jagdsequenz ableiten, die folgendermaßen aufgebaut ist:
Auffinden der Beute – Orientierungshaltung – Blickkontakt zur Beute – Anpirschen / Einkreisen – Hetzen / Scheuchen – Angriff / Packen – Töten – Zerlegen – Konsumieren oder Wegtragen.

Jeder Schritt ist defacto gleichwertig und das Jagen läuft in mehr oder weniger ausgeprägter Form immer so ab. Manchmal kann das Tage dauern, manchmal nur Stunden oder Minuten. Für Hütehunde wurden bestimmte Schritte durch Selektion verstärkt, andere unterdrückt, so daß sie möglichst nicht mehr vorkommen. Beim Herdengebrauchshund wird daraus:
Orientierungshaltung – Blickkontakt zur Beute – anpirschen – hetzen – Angriff / Packen

Beim Koppelgebrauchshund wird daraus:
Auffinden der Beute – Orientierungshaltung – Blickkontakt zur Beute – anpirschen – hetzen – Angriff / Packen.

Das bedeutet, daß Teile der Sequenz wie das Töten und Konsumieren so gründlich wie möglich unterdrückt werden und verschwinden sollen. Andere Teile sollen stärker ausgeprägt werden, z.B. Blickkontakt zur Beute, und wieder andere sollen in gemäßigter Form beibehalten bleiben.

Das erklärt auch die nach wie vor sehr starke Jagdleidenschaft von Hütehunden. Alle Autoren, die sich mit der Ausbildung von Hütehunden befassen, weisen darauf hin, daß der „Jagdtrieb“ nach Möglichkeit ausgemerzt werden muß und der Hund nicht einmal Mäuse selber fangen darf, da er sonst unter Umständen unkontrollierbar wird und selbständig zum Wildern geht, bzw. die Schafe und vor allem die Lämmer gefährdet. Diese Sorge ist gut nachvollziehbar und der Wunsch berechtigt, nur ist es leider eine Illusion, den „Jagdtrieb“, der in einigen Schritten züchterisch regelrecht gefördert wurde, zum Erlöschen zu bringen. Allerdings sollte man auch gut überlegen, warum Hunde jagen. Zum einen handelt es sich schlicht um „Nahrungserwerb“, den die meisten Hunde und ganz besonders arbeitende Hütehunde noch beherrschen. Dann könnte es durchaus sein, dass der Hund zu wenig zu fressen bekommt und einfach Hunger hat. Oder er fühlt sich in der Nähe des Schäfers nicht wohl, weil er schlecht behandelt wurde und deshalb lieber etwas macht, das er kann: jagen. Es ist also durchaus sinnvoll, die Ursachen für unerwünschtes Jagdverhalten genau zu ergründen, da man es sonst vermutlich nie abstellen kann.

Was einem allerdings bei guter Erziehung und vernünftiger Auslastung gelingen sollte, ist eine veränderte Prioritätensetzung des Hundes, dem die Arbeit an der Herde – oder auch andere sinnvolle Beschäftigungen – wichtiger ist als das Hetzen und Erlegen von Wild. Es ist deshalb wichtig, bei der Erziehung und Ausbildung von Hütehunden immer daran zu denken, daß sie nach wie vor am Jagen sehr stark interessiert und in der Lage sind, Wild zu erlegen. Sie sind nicht nur unglaublich schnell, sondern verfügen auch über eine enorm rasche Auffassungsgabe und – das ist von ganz entscheidender Bedeutung – haben im Erbgut auch die Fähigkeit, das Wild zu packen: der Griff, also das Packen der Beute ist allen Hütehunderassen eigen, auch Border Collies sind in der Lage, ein renitentes Schaf mit einem gezielten Biß zu maßregeln. Außer bei manchen Jagdhunden, die das Wild selbständig töten sollen, wie z.B. Windhunde, ist es nicht erwünscht, daß Hunde beißen und töten. Jeder, der nach wie vor dem Märchen erliegt, daß Hütehunde generell und grundsätzlich lieb und sanft, Schafen gegenüber von großartiger Sanftmut und jagdlich überhaupt nicht interessiert sind, sollte schleunigst davon Abstand nehmen. Sicher gibt es unter ihnen sehr sanfte Exemplare, die Schäfer bevorzugen allerdings meistens die härteren.